Toxische Beziehungen in der Schweiz
Tina und Ike Turner, Kurt Cobain und Courtney Love, Whitney Houston und Bobby Brown, Kate Moss und Pete Doherty oder zuletzt Amber Heard und Johnny Depp: In der Welt der Prominenten mangelt es nicht an Paaren, die eine toxische – also eine „vergiftete“ – Beziehung führen (oder führten).
Wie eine neue, repräsentative Studie im Auftrag der Online-Partneragentur Parship.ch bei 1‘013 Frauen und Männern von 18 bis 69 Jahren in der Schweiz zeigt, ist rund die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer mit dieser Art von destruktiver Liebe vertraut: 27 Prozent kennen jemanden, der/die in einer toxischen Beziehung war oder ist. Zudem geben 24% der Männer und 31% der Frauen an, selber schon einmal in einer solchen Beziehung gewesen zu sein. Aktuell befinden sich mit 8% praktisch dreimal mehr Frauen als Männer in einer toxischen Beziehung. Am häufigsten betroffen ist hierbei die Altersgruppe der 30 bis 39 Jährigen.
Dazu Parship.ch-Psychologin Dania Schiftan: „Männer und Frauen definieren toxische Beziehungen wohl unterschiedlich. So oder so zeigen die Zahlen, dass doch erschreckend viele mit diesem Thema in Berührung gekommen sind, sei es aus eigener Erfahrung oder im Umfeld.“
Physische Gewalt ist vor allem für Frauen ein Merkmal toxischer Liebe
Befragt danach, welche Merkmale eine toxische Beziehung ausmachen, wurden folgende am häufigsten genannt:
- Kontrollsucht (61%)
- Der/die Partnerin behandelt einen herabwürdigend und beleidigend (60%)
- Partner/in versucht immer wieder, den anderen zu manipulieren (58%)
- Die Beziehung raubt einem Energie (57%)
- Der/die Partner/in verdreht Wahrheiten (50%)
Zudem ist physische Gewalt für 57% der Frauen ein weiteres Merkmal einer destruktiven Beziehung; Männer finden dies zu 42%. Ebenfalls denken mit 56% deutlich mehr Frauen an soziale Isolation als Kennzeichen einer toxischen Beziehung (Männer 42%). „Diese Unterschiede könnten auf unterschiedlichen Rollenbildern zwischen den Geschlechtern basieren, die es vielleicht erschweren, ein Merkmal überhaupt als toxisch zu erkennen. Hierfür braucht es aus meiner Erfahrung Zeit und Reflexion, bis die Einsicht reift, dass das eigene Verhalten einem im Weg steht“, sagt Dania Schiftan.
Verdrehte Wahrheit, Eifersucht und regelmässig Lügen sind für rund die Hälfte weitere Merkmale, gefolgt von unberechenbaren Stimmungsschwankungen und grundlosen Anklagen.
Toxische Beziehungen? Nicht mit den Jungen!
Auffallend: Die Altersgruppe 18 bis 29 Jahre identifiziert viele Merkmalen deutlich häufiger als andere Altersgruppen. Sie ist zudem die grösste Gruppe, die jemanden kennt, der/die in einer toxischen Beziehung ist oder war. Bedeutet das, die Sensoren in dieser Altersgruppe sind empfindsamer im Vergleich zu den älteren Gruppen?
Dazu Dania Schiftan: „Diese Altersgruppe hat den Vorteil, dass sie es vermutlich noch nicht mit dem Partner oder der Partnerin des Lebens zu tun hat. Und auch noch nicht in einer Beziehung oder gar Ehe steckt, sei es mit oder ohne Kinder. Vielleicht erleichtert diese Tatsache, genauer hinzuschauen und sich bewusster zu werden, was akzeptabel ist. Schön und wünschenswert wäre es, dies auch in späteren Lebensjahren beizubehalten.“
Lieber ein Ende mit Schrecken – doch wer macht Schluss?
Gefragt danach, wie ihre toxische Beziehung geendet hat, gaben zwei Drittel der Frauen (68%) und die Hälfte der Männer (56%) an, selbst einen Schlussstrich gezogen zu haben, als es ihnen zu viel wurde. Bei doppelt so vielen Männern wie Frauen (20% vs. 11%) wurde die Beziehung vom Partner bzw. der Partnerin beendet. Bei 10% der Männer, aber nur 2% der Frauen war es die Abwendung von Freunden und Familie, die zum Handeln geführt hat.
Nur die wenigsten haben sich für das Beenden der toxischen Beziehung professionelle Hilfe geholt (knapp 3%). Dies erstaunt Dania Schiftan nicht: „Viele Menschen, die in toxischen Beziehungen stecken, haben Ängste und Unsicherheiten, denen sie sich vielleicht nicht stellen wollen. Andere kommen gar nicht auf die Idee, dass ihnen geholfen werden könnte oder wissen schlicht nicht, dass sie sich professionelle Hilfe holen könnten. Dabei wäre es in jeder Hinsicht empfehlenswert, dies zu tun. Denn niemand muss in einer unglücklichen Beziehung bleiben. Besser setzt man seine Energie dafür ein, jemanden zu finden, mit dem man glücklich wird.“
Über die Studie: Die Studie wurde vom 29. April bis 09. Mai 2021 vom digitalen Markt- und Meinungsforscher Unternehmen marketagent.com durchgeführt. Befragt wurden 1013 Frauen und Männer von 18 bis 69 Jahren in der Schweiz, davon 347 Singles (Westschweiz, Raum Zürich, Raum Bern, Ostschweiz, Mittelland, Zentralschweiz, Nordwestschweiz und Graubünden).